Wie soll ich mit einer Krebserkrankung umgehen und verarbeiten?
„Ich habe Brustkrebs – was jetzt?“ oder „Ich bin schon eine Zeit lang mit der Therapie durch, aber mein Leben ist ganz durcheinander: meine Familie, mein Job, mein Körper?! Wie kann ich mich jetzt neu sortieren? Fragen, die viele Frauen bei einer Krebsdiagnose bzw. auch nach Abschluss einer Krebstherapie beschäftigen.
Was du tun kannst, um besser mit einer Krebserkrankung umzugehen bzw. eine Krebserkrankung zu verarbeiten und gesund ins Leben zu intergrieren, erfährst du im Interview mit Tina Scheid. Tina Scheid ist Psychoonkologin, Gesprächs- und Atemtherapeutin mit eigener Praxis in Hamburg und online.
Bettina: Tina, du hattest ja vor 8 Jahren die Diagnose Brustkrebs bekommen. Wie bist du mit der Diagnose umgegangen?
Tina: Es war Januar 2017, als ich in der Dusche einen Knubbel in der linken Brust auf 5 Uhr bemerkt habe. Dieser Knubbel hat sich wie eine Patronenhülse angefühlt, hat aber nicht weh getan und ich konnte ihn bewegen. Im ersten Moment dachte ich mir noch nichts dabei. Erst nach dem zweiten, dritten oder vierten Mal duschen dachte ich mir: „Da ist etwas, was da definitiv nicht hingehört.“
Fibroadenom oder Mammakarzinom?
Ich habe dann einen Termin bei meiner Frauenärztin ausgemacht. Meine Frauenärztin meinte, dass wir einen Ultraschall machen und sie sagte, dass dieser Knubbel wie ein Fibroadenom aussieht. Ein Fibroadenom ist eine gutartige, klar umrandete Gewebeveränderung, die keine Krebserkrankung ist, aber in jedem Fall untersucht werden sollte.
Ich war froh, dass meine Frauenärztin gesagt hat, dass wir uns das genauer ansehen sollten und sie stellte mir eine Überweisung zur Biopsie aus. Biopsie bedeutet, dass mit einer ganz dünnen Nadel wird mittels einer Stanze Gewebe entnommen und im Labor untersucht. Hinter diesen verdächtigen Fibroadenom hatte sich dann leider ein Mammakarzinom, eine Krebserkrankung, versteckt. Hier wusste ich, dass ich an einem Wendepunkt in meinem Leben stehe.
Nach einer Krebsdiagnose fühlt man sich „lost und einsam“ und man weiß nicht, wie es weitergeht, doch wir haben zum Glück hier in Deutschland viele Anlaufstellen wie Frauenärztinnen und Ärzte, Brustzentren.
Auch, wenn es beängstigend ist, es ist wichtig, dass man mutig, selbstbestimmt und schnell die nächsten Schritte geht, weil Früherkennung und eine frühzeitige Therapie kann die Therapie verändern und vor allem Leben retten. Deswegen der Appell an alle: Wenn ihr etwas entdeckt, das da nicht hingehört, lasst es am besten heute noch gegenchecken!
Schnelle Entscheidung für eine Operation
Im nächsten Schritt sollte ich in verschiedenen Krankenhäusern und Brustzentren hier in Hamburg vorstellig werden, denn der Tumor musste behandelt und entfernt werden. Meine Therapie war eine vermeintlich einfache und schnelle Therapie. Der Tumor hatte 2,7 cm. Heutzutage würde man diesen zuerst schrumpfen soweit ich weiß. Mein Tumorboard hatte sich entschieden, schnell zu operieren, weil, wir wissen es alle, ein Tumor kann sehr schnell wachsen.
Aufgrund meiner familiären Vorbelastung habe ich bei Frauenärzt:innen schon immer meine Brust abtasten lassen. Meine Brust wurde im August 2016 abgetastet und im Januar 2017 habe ich einen Knubbel gespürt und im April 2017 war er schon unfassbar schnell gewachsen.
Bei so einer Entscheidung, schnell zu operieren, kommt schon ein gewisser Zeitdruck mit rein. Heute empfehle ich:
- Lasst euch Zeit, Euch alle Informationen geben zu lassen.
- Man kann sich eine Zweitmeinung einholen. Ärzt:innen sind auch nicht böse, wenn man sich eine Zweitmeinung einholt. Sie sind eher froh, wenn Patient:innen mitdenken und mitagieren.
Die Idee, „dass das schnell wieder raus ist“, fühlt sich in dem Moment unfassbar gut an. 1 Woche nach dem Anruf, als ich die Diagnose bekam, hatte ich auch schon den OP-Termin.
Es wurden der Tumor plus ein DCIS (eine Krebsvorstufe) drumherum rausoperiert. Knapp 4 cm Gewebe wurden insgesamt entfernt. Der Wächterlymphknoten wurde bereits während der OP untersucht und glücklicherweise war dieser nicht befallen. Nach der Operation konnte ich länger meinen Arm nicht bewegen. Nachdem das Ergebnis des Oncotype DX-Tests (ein Test, um das Rückfallsrisiko festzustellen) da war, wurde empfohlen, eine Bestrahlung über 6,5 Wochen noch zu machen und danach die Einnahme von Tamoxifen.
Rund 7 Jahre habe ich Tamoxifen eingenommen, ein Medikament, das bei einem hormonabhängigen Brustkrebs gegeben wird, um den Östrogenspiegel runter zu regulieren bzw. die Andockstellen der Zellen für Östrogene zu blocken. Nach Rücksprache mit meiner Onkologin durfte ich Tamoxifen absetzen.
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Eine Brustkrebstherapie ist individuell
Eine Brustkrebstherapie ist individuell auf die Patientin zugeschnitten:
- auf das Alter
- die Genetik
- etwaige Vorerkrankungen
- Wünsche, Bedürfnisse und Lebenssituation wie zB Kinderwunsch
Bei mir stand damals das Thema Kinderwunsch im Raum. Obwohl ich keine Chemotherapie hatte, habe ich zwischen Operation und Bestrahlung mir Eizellen entnehmen lassen, die mittels Kryokonservierung (Eizellen werden eingefroren) haltbar gemacht wurden.
So blöd die Diagnose, aber so wundervoll die Menschen, die uns dabei unterstützen!
Nachsorge ist Vorsorge
Auch 7,5 Jahre danach gehe ich einmal pro Jahr zum MRT, eine Mammographie und in den Zwischenmonaten 2 Sonographien – also alle 3 Monate zur Nachsorge.
Nach dem Absetzen von Tamoxifen erklärte mir meine Onkologin: „Frau Scheid, wir können Ihnen nichts versprechen.“ Daraufhin antwortete ich „Sie können mir auch nach 10 Jahren nichts versprechen.“ Somit sehe ich mich auch noch mehr in der Verantwortung, zur Vorsorge zu gehen.
Früherkennung ist das Beste, was man machen kann
Auch, wenn es komisch ist, sich die Brust abzutasten. Es gibt tolle Unterstützungen wie „discovering hands“, die zeigen, wie das richtig geht. Da dran bleiben und das Gewebe kennenlernen, ist so wichtig.
Auch nach 7 Jahren gehe ich regelmäßig zur Nachsorge, vorallem, wenn mir etwas komisch vorkommt. Da frage ich lieber nochmal nach. Ein Gefühl von „never-ending story“. Egal, wie lange eine Krebsdiagnose her ist, fragt nach! Niemand nervt Ärztinnen und Ärzte, weil wir nachfragen. Nachfragen ist in jedem Fall sinnvoller als abzuwarten.
Das Leben nach Krebs
Bettina: Während der Therapiephase ist ein gewisses Gefühl von Sicherheit da, weil man gefühlt an der Hand von Ärzten ist. Wenn dann die Therapie vorbei ist, steht man plötzlich wieder alleine da. Einerseits: „Super, ich habe es geschafft. Ich starte zurück ins Leben.“ Andererseits, mache ich mir Sorgen bei irgendwelchen Symptomen zB ein aufgeblähter Bauch oder Rückenschmerzen, die auftreten. Das hatte ich früher nicht. Hast du Tipps für Frauen, die mit Ängsten konfrontiert sind?
Tina: Ja, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Das Therapieende ist eine Mischung aus „Juhu.“ und „Achherje – und jetzt? Wer passt jetzt auf mich auf? Welcher Arzt/Ärztin? Welches Medikament?“
Tatsächlich kommen insbesondere junge Frauen zu mir in die Praxis nach Therapieende. „Hallo, Frau Scheid. Ich hatte Krebs. Ich hatte und bin schon seit einem halben Jahr, Jahr mit der Therapie durch, aber irgendwie spielt mein Leben in allen Lebensbereichen verrückt.“ Die Neben- und Nachwirkungen der Therapie sind ja nicht mit Therapieende vorbei.
Viele Menschen kommen also eine gewisse Zeit nach einer Krebserfahrung zu mir und wollen mit mir reden, aber gar nicht so sehr über die Therapie, denn die haben sie gut überstanden, aber alle anderen Themen, die so aufgekommen sind.
Diese existientielle Herausforderung und Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit macht was mit uns:
- Alle große Lebensthemen verändern uns sowie den Blickwinkel auf die Dinge
- Viele wollen sich neu sortieren
- Es geht um das gesunde Integrieren der Krebserfahrung
Dabei geht es um Familie und Beziehungen, den Körper und Umgang mit Körper oder Job bzw. Beruf und Berufung. In diesen vielen Themenbereichen gibt es verschiedene Emotionen:
- die Angst vor einem Rückfall
- die Frage nach der Sinnhaftigkeit des aktuellen Berufes
Die Themen sind sehr facettenreich, die wir in den Gesprächen bearbeiten.
Umgang mit der Diagnose Brustkrebs
Wenn Menschen mit der Diagnose sich bei mir melden, gehe ich oft in die Thematik „Diagnoseschock“ rein:
- Angst vor dem, was jetzt kommt
- Angst, was falsch zu machen
- Zweifel, ob das wieder gut wird
- Scham
- Wut, die mitspielt: Warum ich? Was habe ich falsch gemacht?
Sorgen, Ängste Zweifel dürfen da sein. Alle Gefühle dürfen da sein. Es gibt kein richtig und kein falsch.
In diesen Gesprächen beziehe ich dann den Körper mit ein zB mit Atemtechniken oder Körperhaltungen. Hier helfen mir meine 12 Jahre Yogaerfahrung: Wie kann ich mich beruhigen, um in die nächste Chemorunde oder Befundbesprechung gelassener zu gehen?
Der Atem ist unsere natürlichste Quelle
Bettina: Du bist auch Breathworktrainerin. Was ist die Wirkung und wie arbeitest mit dieser Technik?
Tina: Atemübungen helfen immer, je nachdem, was wir bewirken wollen. Sie können uns revitalisieren oder beruhigen. Ich arbeite mit der Methode „Inner Axis nach Max Strom“, die immer einen beruhigenden Aspekt hat, was bei der Arbeit mit Krebspatient:innen besonders wichtig ist. Diese Atemübungen sind beruhigen, fokussierend, stabilisierend.
Diese Atemübungen baue ich in meinen Gesprächen ein. Bevor wir in ein Gespräch starten, machen wir zunächst eine Atemübung, um mal anzukommen.
Beispielsweise die Atemübung „4-7-8“ hat den Effekt, wenn wir auf 4 einatmen, bis 7 zählen und anhalten, und auf 8 ausatmen, dass das parasympathische Nervensystem aktiviert wird. Wir kommen in die Entspannung. Das Herz schlägt langsamer, der Puls beruhigt sich. Dieses Zählen hat ebenso einen Effekt auf unsere teils nervösen Gedanken, die in Horrorszenarien unterwegs sind. Mit dem Atem beruhigen wir Körper und Geist.
Worauf du deinen Fokus setzt, dahin fließt deine Energie
Bettina: Ich kann mich auch an eine Situation erinnern. Während meiner Chemotherapie, gab es ein Zytostatikum, bei dem man während der Infusion Eis- und Fußhandschuhe tragen musste, um die Nerven an Fingern und Zehen zu schonen. Diese Hand- und Fußschuhe musste man meist über 1 Stunde tragen. Meine Fingern und Zehen waren zu Beginn immer so kalt. Das hatte direkt gebrannt.
Bei der 1. Therapie habe ich das fast nicht ausgehalten. Ich wollte aus diesen Handschuhen raus. Mit der Zeit wurde es dann besser, als die Handschuhe wärmer wurden.
Vor der nächsten Therapie fragte ich mich, wie ich zukünftig damit besser umgehen kann: Fokusveränderung war der Schüssel. Denn wenn ich meinen Fokus bei den eiskalten Fingern und Zehen lasse, dann wird das Empfinden der Kälte und der Widerstand immer größer.
Doch was passiert, wenn ich meine Aufmerksamkeit von dem Kälteempfinden abziehe zB mit einer Atemübung. Das habe ich ausprobiert und es hat funktioniert: Während der Chemo habe ich eine Atemübung gemacht, der Fokus war verändert und ich habe die Hand- und Fußschuhe viel besser ausgehalten ohne ständig einen Widerstand zu spüren.
Tina: Eine Visualisierung an einen sicheren Ort oder eine Atemübung mit Zählen oder, was ich heute noch mache im MRT, ich singe Mantren. Die einfachsten Dinge haben oftmals die größte Wirkung. Nehmt diese Übungen mit in deinen Alltag und anwenden.
Yoga, Breathwork & Psychoonkolgie
Bettina: Du bietest ja auch Yoga Teacher Trainings und Retreats an. Worum geht es da genau?
Tina: Ich bin jetzt seit 2 Jahren selbstständig und hatte mich damals entschieden, mich so zu nennen, was ich auch mache, also „Tina Scheid – Yoga, Breathwork & Psychoonkologie“. In diesen 3 Themenbereichen biete ich verschiedene Dinge an:
- Gesprächstherapie in der Praxis
- Yoga, Breathwork & Psychoonkologie Retreats – vor Ort und Online
Das, was ich anbiete, ist immer für Menschen mit oder nach einer Krebserkrankung, deren Angehörige und Interessierte. Diese Retreats finden online oder vor Ort in kleinen Gruppen statt. Hier versuchen wir, die Krebserfahrung gesund zu integrieren.
Darüber hinaus hatte ich das große Glück, bei Yogaeasy als Yogalehrerin gelistet worden zu sein. Vor 2 Jahren hatten wir eine Yoga für Brustkrebs Klasse gegeben mit rund 40 Teilnehmer:innen. Das Feedback war so gut, dass Yogaeasy mehr anbieten wollte. Wir überlegten dann gemeinsam, dass wir verschiedene Videos für den onkologischen Kontext drehen, und zwar zu den Themen:
- Yoga Asana
- Meditation
- Breathwork
- Journalling
- Psychoonkologie
- Spiritualität
Diese Module sind gut zusammengefasst mit Videos und Übungen. Das Feedback auf diese Module war auch so gut, dass Yogaeasy mich angesprochen hat, ein Yoga Teacher Training zu machen. Wir haben daraufhin ein 30h Yoga Teacher Training zu den Themen Yoga, Breathwork & Psychoonkologie erstellt. Ich freue mich sehr, dass Yogaeasy da so offen ist, für diese kleine Nische etwas anzubieten.
Bettina: Inwiefern hat dich deine Krebserfahrung geprägt und was würdest du Frauen mit einer Brustkrebs Diagnose raten?
Tina: Vor meiner Brustkrebsdiagnose war ich Tina Scheid und danach auch immer noch, aber ein kleines bisschen mutiger und selbstbestimmter. Wenn ich einen Tipp hätte:
- Sprich darüber. Mit dir selbst und mit Menschen.
- Sprich über das, was gerade los ist. Erzähle, das was du in dir spürst, fühlst und erlebst.
- Sprich mit dir selbst und anderen und bleib in Kommunikation.
Bettina: Vielen herzlichen Dank für deine Zeit, liebe Tina!
Über Tina Scheid:
Tina Scheid ist Psychoonkologin und Gesprächs- & Atemtherapeutin in eigener Praxis in Hamburg & online. Sie unterstützt Krebspatient*innen (und deren Angehörige) in herausfordernden Zeiten mit Tools & Methoden aus den Bereichen Yoga, Breathwork & Psychoonkologie.
- Webseite: https://www.tinascheid.de/
- Doctolib: https://www.doctolib.de/heilpraktiker-fur-psychotherapie/hamburg/tina-scheid
- Instagram: https://www.instagram.com/tinaxscheid/
- Praxis: https://www.raum-fuer-psychoonkologie.de/
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